INTERVIEW

Ein Gespräch über Struktur, Führung und die leise Wirksamkeit im Hintergrund

Wenn Verwaltungen sich neu aufstellen, wenn Ministerien in komplexe Prozesse eintreten oder wenn Führungspersonen nach Orientierung inmitten wachsender Anforderungen suchen, dann sind oft Menschen im Spiel, die nicht auf der Bühne stehen – und doch tragend wirken. Einer von ihnen ist Thomas Lemcke. Seit über 35 Jahren begleitet er Führungskräfte, Behörden und Organisationen als Mentor, strategischer Assistent und juristisch versierter Brückenbauer. Im Gespräch mit unserer Redaktion spricht er über stille Autorität, strukturelle Klarheit und das, was zwischen den Zeilen wirkt.



INTERVIEW

JULI 2025, GERMANY

Frage: Herr Lemcke, Sie begleiten seit über 35 Jahren Führungskräfte und Organisationen – was macht Ihre Arbeit als Mentor für Sie besonders?

TL: Für mich ist Mentoring mehr als reine Beratung. Es geht darum, auf Augenhöhe zuzuhören, gemeinsam Perspektiven zu reflektieren und einen Raum zu schaffen, in dem Klarheit wachsen kann. Oft ist es nicht das große Konzept, sondern das feine Nachdenken hinter den Kulissen, das den Unterschied macht.

Frage: Ihre Arbeit findet häufig im Hintergrund statt. Wie wichtig ist Diskretion für Sie?

TL:  Diskretion ist für mich eine Grundvoraussetzung. Führungskräfte brauchen Räume, in denen sie ihre Gedanken und Zweifel ohne Risiko äußern können. Nur dann können wir wirklich in die Tiefe gehen und strukturell tragfähige Lösungen entwickeln. Ich sehe mich weniger als Akteur im Vordergrund, sondern eher als verlässlichen Resonanzraum im Hintergrund.

Frage: In welchen Organisationen sind Sie hauptsächlich tätig?

TL:  Mein Schwerpunkt liegt im öffentlichen Sektor: Ministerien, Behörden, aber auch politische Büros. Daneben unterstütze ich Kanzleien und private Unternehmen, die mit komplexen Rechts- und Organisationsfragen zu tun haben.

Frage: Sie arbeiten an der Schnittstelle von Recht, Verwaltung und Führung – welche Herausforderungen begegnen Ihnen dabei häufig?

TL:  Eine große Herausforderung ist die Komplexität der Anforderungen. Rechtliche Vorgaben, organisatorische Abläufe und menschliche Erwartungen laufen nicht immer synchron. Hier geht es darum, Brücken zu bauen, zwischen Systemen zu vermitteln und zugleich den individuellen Führungspersönlichkeiten Sicherheit und Orientierung zu geben.

Frage: Sie begleiten sowohl öffentliche Institutionen als auch private Unternehmen. Gibt es Unterschiede in der Herangehensweise?

TL:   Ja, aber weniger als man vermutet. Während öffentliche Institutionen stärker von formalen Prozessen und politischen Rahmenbedingungen geprägt sind, haben private Unternehmen oft größere operative Flexibilität. In beiden Welten gilt es jedoch, Strukturen zu verstehen und so zu gestalten, dass Menschen in ihnen wirksam werden können. Der Kontext mag sich unterscheiden – die Notwendigkeit klarer Strukturen und verlässlicher Kommunikation ist universell.

Frage: Wie gelingt Ihnen dieser Spagat zwischen Struktur und Menschlichkeit?

TL:  Ich glaube, der Schlüssel liegt im Zuhören und im Verstehen der verschiedenen Perspektiven. Nur wer die Sprache aller Beteiligten spricht, kann verbindliche Lösungen gestalten. Dazu gehört auch Geduld – gerade wenn Prozesse sensibel oder Veränderungsdruck hoch ist.

Frage: Viele Organisationen stehen aktuell vor einer Positionierungsfrage im Umgang mit KI. Welche Beobachtungen machen Sie in diesem Kontext?

TL:  KI bringt neue Komplexitäten mit sich – nicht nur technisch, sondern vor allem in der Frage, wie Verantwortung und Steuerung gestaltet werden. Ich beobachte, dass viele Institutionen nicht primär an der Technologie scheitern, sondern an der fehlenden internen Klarheit, wie man sich zur Technologie positionieren möchte. Es geht nicht um Tools, sondern um Haltung.

Frage: Und was folgt daraus für die Führungsebene?

TL:  Der Umgang mit KI ist ein Lackmustest für Führungsfähigkeit: Wer führt, muss nicht alles verstehen – aber Verantwortung übernehmen können. Das bedeutet, auch dort Klarheit zu schaffen, wo das Terrain neu ist. Ich unterstütze dabei, strukturelle und kommunikative Räume zu öffnen, in denen Organisationen ihre Rolle in einem sich verändernden Umfeld definieren können – mit Blick auf Werte, Wirkung und Verantwortungsarchitektur.

Frage: Sie haben selbst viele Veränderungsprozesse erlebt und begleitet. Wie gehen Sie mit Widerstand um?

TL:  Widerstand ist zunächst ein wertvolles Signal. Er zeigt, dass etwas berührt wird, das für die Beteiligten wichtig ist. Ich versuche, die dahinterliegenden Motive zu verstehen und daraus eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Veränderung funktioniert nicht gegen die Menschen, sondern nur mit ihnen – auch wenn das bedeutet, Tempo herauszunehmen, um Vertrauen zu stabilisieren.

Frage: Was bedeutet für Sie Führungskompetenz?

TL:  Führungskompetenz zeigt sich nicht allein in Entscheidungen, sondern vor allem in der Fähigkeit, Orientierung zu geben. Wer in unsicheren Zeiten klar bleibt, auch wenn nicht alle Antworten vorhanden sind, gibt anderen Sicherheit. Diese Haltung ist erlernbar, aber sie braucht ein bewusstes Arbeiten an der eigenen Rolle und den eigenen Grenzen.

Frage: Sie sprechen oft von „Haltung“ – was verstehen Sie darunter?

TL:  Haltung ist für mich die Summe aus Klarheit, innerer Stabilität und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Sie ist kein starres Konstrukt, sondern etwas Lebendiges, das sich im Spannungsfeld von Prinzipien und pragmatischer Flexibilität bewähren muss. Gerade in komplexen Organisationen ist Haltung das, was Orientierung schafft, wenn Regeln allein nicht ausreichen.

Frage: Wie sehen Sie die Rolle von Mentoring im Kontext moderner Führung?

TL:  Mentoring ist für mich ein Resonanzraum, der die oft einsame Verantwortung von Führungskräften mildert. Es ist kein klassisches Coaching, sondern ein gemeinsames Denken, das hilft, innere Haltung und äußere Anforderungen in Einklang zu bringen.

Frage: Was macht für Sie eine erfolgreiche Begleitung aus?

TL:  Erfolg ist, wenn Vertrauen wächst und Verantwortliche sich selbst sicherer und handlungsfähiger erleben. Wenn ein Stück Klarheit entsteht, wo vorher Unschärfe war – und das oft ganz ohne großes Aufsehen.

Frage: Gibt es einen Moment, der für Sie die Wirksamkeit Ihrer Arbeit besonders sichtbar gemacht hat?

TL:  Es sind selten spektakuläre Situationen, sondern eher stille Momente: wenn eine Führungskraft plötzlich erkennt, dass sie mehr Handlungsspielraum hat, als sie dachte. Oder wenn in einem festgefahrenen Prozess ein Dialog möglich wird, der vorher undenkbar schien. Diese leisen Verschiebungen sind oft nachhaltiger als große Inszenierungen.